Mit der Diagnose einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung brechen für die Betroffenen zunächst die vertrauten Lebensumstände zusammen. Glücklicherweise bietet die moderne Medizin mit ihren Fortschritten immer mehr Krebspatienten die Chance auf Heilung. Daher ist es, trotz des ersten Schocks über die Diagnose, für Ärzte und Patienten wichtig, sich auch mit den langfristigen Folgen für das Leben nach erfolgter Heilung auseinanderzusetzen.
Im Rahmen einer Krebserkrankung kann es vorkommen, dass die geplante Therapie (Operation, Bestrahlung, Chemotherapie) nicht nur den Tumor, sondern, je nach Medikament und notwendiger Dosierung, auch Keimzellen, also Ei- und Samenzellen, schädigt. Früher wurde diese Nebenwirkung in Kauf genommen. Heutzutage, da dank des medizinischen Fortschritts die Heilungschancen gestiegen sind, stellt sich für junge Patienten nach überstandener Erkrankung immer mehr die Frage nach der Lebensqualität und einer Familienplanung. Immerhin sind 10-20% aller Krebspatienten jünger als 40 Jahre alt. In einer Umfrage äusserten 76% der Patienten vor onkologischer Therapie einen zukünftigen Kinderwunsch.
Um diesen Patienten umfassende Information und Unterstützung zu bieten, wurde im deutschsprachigen Raum das Netzwerk «FertiPROTEKT» gegründet. FertiPROTEKT umfasst mehr als 100 Zentren im deutschsprachigen Raum und arbeitet seit 2006 mit dem Ziel, fertilitätserhaltende Massnahmen bei Frauen und Männern einzuführen. Jeder Patient im reproduktionsfähigen Alter soll vor und nach einer zytotoxischen Therapie hinsichtlich der künftigen Zeugungsfähigkeit beraten werden können. Die Beratung selbst ist kostenlos.
Welches Zentrum sich in Ihrer Nähe befindet, können Sie auf folgender Website überprüfen: www.fertiprotekt.com
Frauen besitzen von Geburt an nur einen bestimmten Vorrat an Eizellen, der nicht erneuert werden kann. In den Eierstöcken befinden sich mehrere 100.000 unreife Eizellen, aus denen sich monatlich jeweils ein befruchtungsfähiges Ei entwickelt. Dabei wird der Vorrat aufgebraucht, bis im Alter von durchschnittlich 51 Jahren die Menopause eintritt. Die Therapie im Rahmen einer Krebserkrankung, also Chemotherapie und Bestrahlung, können diesen Prozess beschleunigen: die Fertilität wird eingeschränkt, es kann zur Unfruchtbarkeit der Frau kommen. Der Verlust von Eizellen führt dazu, dass die Wechseljahre vorzeitiger als erwartet eintreten und die fertile Lebensphase verkürzt wird. Das Risiko einer sogenannten prämaturen Ovarialinsuffizienz ist abhängig von der Art der Chemotherapie (Substanz, Dosis) und der Therapiedauer, sowie von der ovariellen Reserve (Anzahl der vorhandenen Eizellen) vor Beginn der Therapie.
Im Rahmen eines ärztlichen Gespräches (Beratung zur Fertilitätsprotektion, in einem Partnerzentrum von FertiPROTEKT) wird auf die individuelle Situation jeder Patientin eingegangen, um optimale Strategien zur Erhaltung der Fertilität zu erstellen und die Erfüllung des Kinderwunsches nach überstandener Erkrankung zu ermöglichen. Nicht alle Therapieoptionen eignen sich für jede Patientin.
GnRH Analoga
Die Hormonproduktion und Reifung der Eizellen in den Eierstöcken werden durch die Hormone FSH und LH reguliert. Diese werden von der Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) ausgeschüttet. Durch die Verabreichung von GnRH-Analoga in Form einer Spritze wird eine Ausschaltung der Hormonbildung in den Eierstöcken erzielt. Dadurch soll die Empfindlichkeit des Eierstockgewebes gegenüber einer Chemotherapie und damit die Wahrscheinlichkeit einer Schädigung reduziert werden. Die meisten Metaanalysen seit 2011 zeigen, dass sich durch GnRHa die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaft erloschenen Eierstockfunktion nach der Chemotherapie deutlich senken lässt.
Kosten: ca. 180 Euro pro Monat, evtl. kann das Medikament über die Krankenkasse bezogen werden
Transposition der Eierstöcke
Wenn im Rahmen einer Tumorbehandlung die Bestrahlung des Bauchraumes vorgesehen ist, kann man mit einer operativen Verlagerung der Eierstöcke (Transposition der Ovarien) deren Funktion weitgehend erhalten. Sowohl die Hormonproduktion als auch die Möglichkeit, nach Abschluss der onkologischen Therapie eine Schwangerschaft herbeizuführen, können dadurch weiterbestehen. In einer großen Übersichtsstudie wird eine Erfolgsrate (=erhaltene Eierstockfunktion) von durchschnittlich 80% angegeben. Natürlich müssen weitere Faktoren wie Alter, Fertilität zum Zeitpunkt der Therapie sowie eine eventuell geplante Chemotherapie berücksichtigt werden.
Kosten: Erfolgt der Eingriff im Rahmen anderer Operationen wie z.B. einer Lymphknotenentfernung, entstehen in der Regel keine zusätzlichen Kosten.
Ovarielle Stimulation und Kryokonservierung
Ziel der hormonellen Behandlung der Eierstöcke (Stimulation) ist die Gewinnung von reifen Eizellen, die befruchtet oder unbefruchtet eingefroren werden können. Die ovarielle Stimulation muss VOR einer geplanten Chemotherapie stattfinden. Daher sollten nach Diagnosestellung der Tumorerkrankung die Planung und Behandlung so schnell wie möglich erfolgen. Damit genügend Eizellen (befruchtet oder unbefruchtet) eingefroren (kryokonserviert) werden können, bedarf es einer hormonellen Behandlung in Form von Spritzen, die man sich täglich über 10-12 Tage unter die Haut verabreicht.
Nach erfolgter Stimulation werden bei einem kleinen operativen Eingriff, der Follikelpunktion, Eizellen entnommen. Der Eingriff findet ambulant statt und dauert 15-20 Minuten.
Entnahme und Kryokonservierung von Eierstocksgewebe (ovarian tissue banking)
Vor einer Chemo- und/oder Strahlentherapie kann auch Eierstockgewebe eingefroren werden. Dabei werden im Rahmen einer Bauchspiegelung von beiden Eierstöcken mehrere Gewebsproben entnommen. Die Kryokonservierung von Gewebe ist seit den ersten Geburten nach einer Ovarialgewebetransplantation 2004 weltweit und 2008 in Deutschland eine zunehmend empfohlene Technik zur Konservierung der Fertilität vor zytotoxischen Therapien. Weltweit sind derzeit mehr als 73 Lebendgeburten bekannt, 16 in Deutschland (Stand Ende 2015).
Nach erfolgreichem Abschluss der onkologischen Behandlung und unauffälliger Nachsorge kann das kryokonservierte Ovarialgewebe aufgetaut und in oder auf den noch vorhandenen Eierstock bzw. in eine Gewebetasche nahe den Eierstöcken transplantiert werden. Eine Schwangerschaft kann auf natürlichem Wege eintreten, es kann aber auch eine künstliche Befruchtung notwendig sein. Die Geburtenrate wird auf 25-30% geschätzt.
Die Kosten des operativen Eingriffes (Entnahme von Eierstockgewebe) belaufen sich auf 1000-2000 Euro, die Kosten für Lagerung des Gewebes auf ca. 250 Euro pro Jahr. Falls die Entnahme im Rahmen eines onkologischen Eingriffes stattfindet, entfallen in der Regel die OP Kosten. Die Kosten für eine Re-Transplantation belaufen sich auf mehrere tausend Euro.
Kryokonservierung von Spermien und/oder Hodengewebe
Männliche Keimzellen (Spermien) können vor einer Chemo- oder Strahlentherapie kryokonserviert (eingefroren) werden und im Fall eines Funktionsverlustes der männlichen Keimdrüsen (Hoden) verwendet werden, um ein eigenes Kind zu zeugen. Durchschnittlich überleben ca. 50% der Spermien die Kryokonservierung. Da in einem Ejakulat im Mittel etwa 250 Millionen Spermien vorhanden sind, reichen die überlebenden Spermien üblicherweise aus, um später damit Eizellen zu befruchten. Sollten im Ejakulat keine Spermien vorhanden sein (Azoospermie), kann auch Hodengewebe eingefroren werden. Bei der Entnahme von Hodengewebe handelt es sich um einen operativen Eingriff, der in spezialisierten Zentren durchgeführt werden muss. Dieser sollte VOR Beginn einer geplanten Chemotherapie erfolgen.
Nach erfolgreichem Abschluss der onkologischen Therapie und unauffälliger Nachsorge können die eingefrorenen Samenzellen im Rahmen einer künstlichen Befruchtung (IVF) verwendet werden.
Die Kosten der Kryokonservierung setzen sich aus den Behandlungskosten im Falle eines operativen Eingriffs, den Laborkosten der Kryokonservierung und dafür erforderlichen Technologie sowie den Kosten für die Lagerung eines langfristig angelegten Depots zusammen und können zwischen den Institutionen variieren. Die reine Kryokonservierung (Einfrieren und Lagerung für 1 Jahr) kostet ca. 500 Euro, für jedes weitere Jahr fallen ca. 300 Euro an. Falls der Eingriff im Rahmen der onkologischen Therapie stattfindet, fallen normalerweise nur die Kosten für das Einfrieren an.
Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an Ihren behandelnden Arzt.
Agenturfoto. Mit Model gestellt. AT-NON-00306. Erstellt: März 2020